- Mit 5G und Multi-Access Edge Computing entsteht ein neuer Infrastrukturmarkt für autonome Fahrzeuge.
- Hohe Ausbaukosten und unklare Versorgungsbedingungen sind ein Risiko für einen schnellen privatwirtschaftlichen 5G Roll-Out.
- Positive volkswirtschaftliche Effekte begründen staatliche Anschubleistungen, bspw. durch den Ausbau passiver Infrastruktur.
Automobilhersteller sind weltweit dabei Assistenzsysteme (Advanced Driver Assistance Systems) einzuführen, die es dem Fahrer erlauben, für eine gewisse Zeit dem Auto die Kontrolle zu übergeben. Ab der nächsten Stufe des autonomen Fahrens („Level 3“) darf der Fahrer seine Aufmerksamkeit dann schon anderen Dingen als dem Fahren widmen.
Erforderlich ist hierfür, dass das Fahrzeug kontinuierlich über ein verlässliches und in allen relevanten Dimensionen detailgetreues Modell seiner Umgebung verfügt. Um dies zu erreichen kombinieren die Fahrzeughersteller verschiedene Sensoren und Kameras, die einander ergänzen und ihre Grenzen gegenseitig kompensieren. Bereits standardisiert ist schon die sogenannte Vehicle-to-Vehicle (V2V) Kommunikation, bei der Autos untereinander Informationen austauschen. Genutzt wird hier der LTE Funkstandard im Spektrum um 5,9 GHz (daher auch „LTE-V“). Auf Grund der limitierten Funkreichweite darf der maximale Abstand zwischen zwei Autos jedoch nur wenige hundert Meter betragen (~300m).
Neue Infrastruktur benötigt
Für das teil- und vollautonome Fahren werden die Fahrzeuge auch auf Informationen über andere Verkehrsteilnehmer und Bedingungen außerhalb des eigenen Sichtfeldes bzw. der V2V-Reichweite angewiesen sein, und viele dieser Information müssen dazu vorher noch spezifisch aufbereitet oder verifiziert werden. Der Datenaustausch folgt dem Prinzip der Vehicle-to-Cloud-to-Vehicle (V2C2V) Kommunikation, in der Fahrzeuge(V) eine direkte Verbindung über das klassische Mobilfunknetz zur Cloud (C) aufbauen.
Im Gegensatz zur V2V-Kommunikation wird hierzu lizensiertes Spektrum der Netzbetreiber genutzt. Eine zentrale Rolle spielt dabei das neue 5G-Netz mit seiner Möglichkeit, sicherheitskritischen Datenverkehr in einem separierten, sogenannten „Network Slice“ zu routen, in dem auch die Netzqualität aktiv gemanagt werden kann („Quality of Service“ statt „best effort“). Zusätzlich werden sich mit der neuen Mobilfunkgeneration auch die verfügbare Bandbreite und Netzkapazität deutlich erhöhen sowie die Latenz verkürzen.
Für sicherheitskritische Applikationen werden niedrige Latenzen von um die 1ms jedoch nur erreicht, wenn neben 5G auch Multi-Access Edge Computing (MEC) genutzt wird. Ein ganz neuer Infrastrukturmarkt beginnt zu entstehen: 5G NewRadio wird um eine Edge Cloud ergänzt, die sowohl von den Mobilfunkanbietern als auch den großen Cloud-Providern (Amazon, Microsoft, IBM, Google, etc.) bereitgestellt werden kann. Die Standardisierung der benötigten Schnittstellen dafür wird aktuell in der MEC Industry Specification Groupvorangetrieben.
Zur Komplettierung der Infrastruktur nehmen neben den Mobilfunk- und MEC-Anbietern auch Applikationsentwickler eine zentrale Rolle ein. Beispielhaft genannt seien zwei Anwendungsfälle für cloudbasierte Applikationsfamilien des autonomen Fahrens:
1) Hochauflösende real-time Navigationsservices, die in nahezu Echtzeit dynamische Veränderungen der Verkehrssituation widerspiegeln: Hochpräzise Karten („HD-Maps“) werden durch die Informationen vieler Verkehrsteilnehmer im crowd-sourcing Verfahren fortlaufend angereichert, validiert und entsprechend aktualisiert. Statt für die Datenverarbeitung das zentrale Backend der jeweiligen Kartenanbieter (bspw. Here, TomTom, Navmii) zu nutzen, kann ein Teil dieser Tätigkeiten als Applikation auf eine Edge Cloud ausgelagert werden. Die Applikation empfängt Informationen aus der ihr zugewiesenen Region und aktualisiert das regionale Kartenmaterial.
Das Map-Update erfolgt schließlich geobasiert, d.h. es werden nur solche Informationen an das Fahrzeug zurückgegeben, die auf der vorgesehenen Fahrstrecke benötigt werden. Auf Grund der dezentralen Edge Struktur wird neben der niedrigeren Latenz zudem eine für den Applikationsanbieter optimierte Lastverteilung gegenüber dem bisherigen zentralen Backend Ansatz erreicht.
2) Intersection Movement Assistance(IMA): IMA-Applikationen regeln bspw. die Vorfahrt an komplexen Kreuzungen und sind darauf angewiesen, dass Informationen zum einen mit höchster Zuverlässigkeit, zum anderen in wenigen Millisekunden ausgetauscht werden. Auf der Edge Cloud werden hierzu von Drittanbietern (bspw. Siemens, Savari) IMA-Applikationen gehostet, die einen regional begrenzten, exklusiven Zuständigkeitsbereich haben. Die IMA-Applikation legt mit jeder neuen Information die Fahrzeugreihenfolge fest und sendet sie an alle Fahrzeuge in der Umgebung. Der über das 5G Netz im Broadcasting-Modus distribuierte Stream ermöglicht den Netzbetreibern im Gegensatz zur bisherigen Point-to-Point Ausspielung über das LTE-Netz eine deutlich höhere Netzeffizienz. Herausfordernd ist die Tatsache, dass es noch lange dauert, bis alle Verkehrsteilnehmer sicher erkannt und berücksichtigt werden können – insbesondere dann, wenn Fahrzeuge oder andere Verkehrsteilnehmer ohne Konnektivität beteiligt sind.
In beiden Beispielen sind heute insbesondere noch Fragen nach Roaming-Szenarien und der Interoperabilität ungeklärt, denn alle Teilnehmer benötigen Zugriff auf die Edge Cloud unabhängig von der eigenen Netz-Subskription – auch im Ausland. Hierzu muss eine Edge Cloud entweder in der Lage sein mit einer netzfremden Edge Cloud zu kommunizieren oder die Kommunikation mit netzfremden Fahrzeugen über Local-Break-Out-Verfahren ermöglichen. Solche Szenarien sind jedoch noch nicht definiert oder über die üblichen Standardisierungsorgane ausgearbeitet worden. Alle drei großen Netzbetreiber in Deutschland arbeiten in Trials daran erste Erfahrungen zu sammeln und kooperieren hierzu mit den Automobilherstellern und ihren Integratoren (bspw. NuTonomy) sowie mit Zulieferern (bspw. Continental).
Wo ist der Business Case?
Bei aller schöner Zukunftsmusik und hoher Begehrlichkeit am Thema autonomes Fahren herrscht noch Unklarheit über die Finanzierung des Ausbaus der benötigten Netzinfrastruktur. Aus diesem Grund ist die für 2018 geplante 5G-Auktion von der Bundesnetzagentur auf Anfang 2019 verschoben worden. Für einen großflächigen 5G Roll-Out wird der Investitionsbedarf je Netzbetreiber auf einen einstelligen Milliardenbetrag (EUR) geschätzt. Im Gegensatz zum 4G-Ausbau sind Glasfaserleitungen zu verlegen und deutlich mehr Radio Cells zu installieren.
Die Refinanzierung dieser Investition gestaltet sich für die Netzbetreiber jedoch schwierig: Signifikante Umsätze sind mit der reinen Konnektivität in Fahrzeugen auf Grund weiter sinkender GB-Preise nur schwer zu realisieren. Zudem ist die Bündelung der verschiedenen Datentarife zu einem übergreifenden Subskriptions-Tarif zu beobachten, über den alle Devices eines Kunden abgedeckt sind – dazu gehört zukünftig auch das Auto. Auch auf Seiten der Automobilhersteller ist nur eine eingeschränkte Zahlungsbereitschaft für weitere Zusatz-Features wie Positioning, Network Slicing und Quality of Service oder die MEC-Infrastruktur zu vermuten.
Nach umfassender Marktrecherche schätzt LSP Digital das Monetarisierungspotenzial der verschiedenen 5G- und MEC-Anwendungsfälle im gesamten Automotive-Segment in Deutschland für das Jahr 2030 auf rund 400 Millionen EUR. Berücksichtigt sind hierbei Umsätze verschiedener Use Cases, die aus dem Hosting von Edge-Applikationen, dem gestiegenen Konnektivitätsbedarf der Fahrzeuge sowie netzbasierten Positionierungsdiensten resultieren.
Und so fällt der Blick schnell auf den Staat, der attraktive Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen möge. Doch welche Rechtfertigung hätte der Staat, aktiv in das Marktgeschehen einzugreifen?
Volkswirtschaftliche Effekte
Vereinfacht ausgedrückt können staatliche Eingriffe immer dann gerechtfertigt sein, wenn der Markt positive gesamtvolkswirtschaftliche Effekte ohne diese Eingriffe nicht selbst oder nur in kleinerem Umfang realisieren kann. Solche positiven Effekte können beispielsweise in einer verbesserten Verkehrssicherheit mit weniger Unfalltoten oder einer erhöhten volkswirtschaftlichen Produktivität liegen.
Würde die autonom zurückgelegte Fahrzeit von Berufspendlern oder Außendienstmitarbeitern teilweise produktiv genutzt oder von LKW-Fahrern als Pausenzeit angerechnet, ergäbe sich nach LSP-Schätzung im Jahr 2030 ein volkswirtschaftliches Potenzial von rund 31Mrd. EUR.
Etwa 21 Mrd. EUR würden davon durch autonome PKW und etwa 10 Mrd. EUR durch autonom fahrende LKWs erzielt. Unsere Schätzung berücksichtigt, dass lediglich 18% aller zugelassenen PKW bzw. 26% aller LKW in Deutschland in 2030 mindestens Level 3-Automation besitzen. Bereits bei diesem geringen Anteil autonom fahrender Autos – und allein bei Berücksichtigung des Arbeitszeiteffektes – würden also positive Effekte erzielt, die die Investitionskosten deutlich überstiegen und ein aktives Gestalten der Rahmenbedingungen durch den Staat rechtfertigen könnten.
Grafik 1: Berechnung des volkswirtschaftlichen Potenzials durch autonome Fahrzeuge, Quelle: Analyse LSP

Der Weg in die mobile Gigabit Gesellschaft
Autonome Fahrzeuge bleiben nur in Bewegung, wenn sie einen nie abreißenden Strom an Informationen erhalten – gespeist durch eigene Kameras und Sensoren, durch andere Fahrzeuge auf der Strecke und zentral aus der Cloud. Um diese Informationen abgreifen und interpretieren zu können, müssen insbesondere offene Fragen zur Interoperabilität, Roaming und Standards gelöst und eine moderne Mobilfunk-, MEC- und Applikationsinfrastruktur bereitgestellt werden.
Zur Klärung der noch offenen Fragen kann die öffentliche Hand durch harmonisierte Anforderungen und Zulassungsvoraussetzungen sowie ein schnelles und transparentes Vergabeverfahren beitragen. Auf Grund der zu erwartenden volkswirtschaftlichen Effekte sind auch staatliche Anschubleistungen möglich, denn der Investitionsbedarf würde einen rein privatwirtschaftlichen Infrastrukturausbau ansonsten verzögern oder sogar verhindern.
Südkorea macht vor, was Digital Leadership ausmacht. Mit K-City hat die Regierung eine Kleinstadt als Testgelände bauen lassen, in der verschiedene Szenarien für das autonome Fahren simuliert werden können. Auch sind die Auktionen zur Vergabe der 5G Lizenzen im 3,5 GHz (5G NR) und 28 GHz (Fixed Wireless Access) Spektrum bereits im Juni 2018 abgeschlossen worden – der Staat konnte hierbei von den drei südkoreanischen Mobilfunkanbieter etwa 2,9 Mrd. EUR einnehmen.
Glasfaser entlang der Straßen gehört zukünftig genauso zu einer modernen Infrastruktur wie der Asphalt auf der Straße.
Die sich im September 2018 abzeichnende 5G Ausbauverpflichtung der Bundesnetzagentur entlang der Hauptverkehrswege greift diesen Gedanken bereits konsequenterweise auf. Jedoch sollte staatliche Strukturpolitik nicht ausschließlich auf Ausbauverpflichtungen setzen, sondern den Ausbau passiver Infrastruktur (d.h. insbesondere Leerrohre und Strom) entlang der Hauptverkehrswege finanziell fördern, während die Marktteilnehmer den Ausbau ihrer Technik tragen. Hierzu müsste der Staat aber deutlich tiefer in die Tasche greifen, als die bisher vorgesehenen rund 12 Milliarden Euro für die Erschließung ländlicher Gebiete mit Glasfaser. In jedem Fall sind die Zeiten vorbei, als der Bund noch rund 50 Mrd. Euro für die 3G-Lizenzen einnehmen konnte. Heute stellt sich eher die Frage, wie stark die öffentliche Hand gewillt ist, einen Infrastrukturmarkt zu fördern, der perspektivisch ein wichtiges Rückgrat der deutschen Industrie 4.0 sein wird.